AUF DER SUCHE NACH DER SUCHE (3)

FISCHWÄSCHE

EIN REISETAGEBUCH – KAPITEL 3


Sie nennt sich Alix Zander von Humboldt in Anlehnung an den berühmten Weltreisenden und bereist wie ihr Vorbild die Welt (ohne Flugzeug). Mehr von ihrem mutigen Projekt gibt es hier in unregelmäßigen Abständen zu lesen.


EINE HOCHSEEFAMILIE AUF ZEIT


Fast wie im Krieg (zumindest akustisch): Und das jede Nacht. Ein Knall, gefolgt von heftigen Erschütterungen. Übermüdung zeichnet unsere Gesichter. Schlafen? Kaum möglich! Der Katamaran befindet sich auf wilder See. Meterhoch springt er über das Wasser und knallt mit Wucht herab. In meinen Träumen finde ich mich regelmäßig in Kriegsszenarien wieder und wache von ohrenbetäubenden Donnern auf. Trotz federnder Matraze werden wir in unseren Kojen hin- und hergeworfen. Jedem Schlag folgt ein Ächzen, als würden die Wände zerbersten. Mit jedem Knacken wächst meine Angst des Schiffbruchs.

In diesen Momenten starre ich an die dunkle Decke und lausche. Aus der dumpfen Geräuschsuppe sind Stimmen zu hören. Das sei wohl nicht selten bei Schiffsreisenden, häufig gefolgt von Halluzinationen. Viele Menschen können aus den Geräuschen der See wispernde oder singende Menschen hören. Dagegen kann ich wohl nichts machen, und mir bleibt nichts anderes übrig, als die letzten beiden Tage mit den blinden Passagieren klarzukommen. 
Abgesehen von den blinden Passagieren sind wir nun seit Wochen zu viert unterwegs. Das hat uns gezwungenermaßen zusammengeschweißt. Wir bemühen uns, die Ecken und Kanten der Anderen anzunehmen und haben uns die ‚Hochseefamilie‘ getauft. Und tatsächlich wird der Alltag einem Familienleben immer ähnlicher. Wir teilen uns die Aufgaben des ‚Boothalt‘-schmeißens wie kochen, putzen oder waschen. Apropos: Wie wäscht frau eigentlich ihre Wäsche auf hoher See? Es ist ein hitziges Unterfangen, das zudem des Tragens einer Rettungsweste bedarf!
Besonders gut geht das an einem Tag wie heute, an dem die Sonne auf die Solarzellen brennt. So hat der Wassermacher genug Power zur Süßwassertransformation. So mancher Segelnder kann sich den Luxus einer Süßwasserpumpe nicht leisten. Auf langen Überfahrten ist er gezwungen, Meerwasser zum Geschirrspülen, Duschen und Waschen zu verwenden. Das scharfe Salzwasser greift die Kleidung an, sodass diese nicht selten piratenmäßig zerfleddert ist. Damit wir unser äußeres Erscheinungsbild bei etwaigen Treffen in der ozeanischen Wüste professionell halten, hat unser Skipper Tom also 2 Tanks installiert, die insgesamt 400 Liter fassen. Zum Waschen zapfen wir davon ab, um es mit Kleidung und Waschmittel einzuweichen. Idealerweise sollte der ‚Wasch’-Eimer davor gereinigt werden, schließlich filetieren wir in ihm auch frisch gefangenen Fisch. Sobald die Kleidung im (meist sauberen) Eimer einweicht, kommt die Rettungsweste zum Einsatz. Heute sind die Wellen gigantisch. Vorne auf dem Bug besteht die Gefahr, über die dünne Drahtreeling von Bord geschleudert zu werden. Das Sicherungsseil an der Rettungsweste wird am Boot befestigt und so schwanke ich mit vollem Eimer die schmale Reeling entlang. ‚Immer mit einer Hand festhalten…‘. Das habe ich bereits am ersten Tag gelernt. 
Vorne befestige ich den Eimer an der Klampe. Bei hiesigem Wellengang freilich mit Verlustrisiko diverser Kleidungsstücke. Nach ein paar Stunden in der prallen Sonne muss ich die Kleidung wieder zurückbalancieren, um sie mit Frischwasser (nicht Fischwasser) auszuspülen und auszuwringen. Rettungswesteneinsatz No. 2, um die Kleidung mit Sturmwäscheklammern an der Reeling zu befestigen. Sonne und Fahrtwind trocknet die sie in Nullkommanix. Bis dahin ist für allesamt flatternde Unterwäsche zu beobachten.


Sobald der Eimer wieder frei ist, können auch wieder Fische gefangen werden, Nach Tagen der Reis- und Nudelgerichte sind nun die Gelüste nach einer fischigen Abwechslung groß. Wir beschwören Poseidon, uns mit einem Gericht aus dem Meer zu beschenken und werfen die Angeln aus. Hoffnungsvoll wartend gehen wir belanglosen Beschäftigungen nach. Plötzlich ein Rattern! Aus allen Ecken stürmen wir an Deck. Hektisch klauben wir Utensilien zusammen, um uns für einen großen Fang bereitzumachen. Die Hände voll Messer, Haken und Tupperware kommen wir vor einem kichernden Lars zum Stillstand. Er hat sich einen Scherz erlaubt. Hat die Angelrute händisch ausgelöst. Unsere Laune pendelt zwischen Amüsement, Enttäuschung und unterdrückter Wut. Tom fährt Lars an, er solle nicht mit unseren Gefühlen spielen. Eine hitzige Diskussion über Scherze und Stolz bricht vom Zaum, die sich mit wachsender Sorge meinerseits in Richtung Eskalation bewegt. Julian und ich beobachten die Erwachsenen beim ‚Kindsein‘. Plötzlich schießt direkt hinter ihnen die Fontäne eines Wals aus dem Wasser. Mit heruntergeklappten Kinnladen klettern wir eilig auf das Dach des Katamarans. Von hier beobachten wir das wunderbare Tier. Man will es kaum glauben: Wale sind trotz ihrer unglaublichen Größe flink und wendig. Das große Geschöpf umkreist unser kleines Boot mit Leichtigkeit, verschwindet vollständig unter uns, taucht meterweit hinter uns wieder auf und entfernt sich mit einem Zucken seiner Schwanzflosse vollständig außer Sichtweite. Wir bleiben verzaubert dort oben stehen und blicken in die Richtung, in die er verschwunden ist.

Plötzlich wieder das Rattern! Genervt blicken wir in Lars Richtung, doch der steht hier oben! Hastig stolpern wir ins Meergeschoss. Der Eimer wird mit Salzwasser gefüllt, Tom zieht Filetierhandschuhe an und von Julian werden Messer bereitgelegt. Langsam hole ich die Angelrute ein. Der Widerstand ist heftig. Ein panischer Fisch springt aus dem Wasser und versucht, sich vom Haken zu lösen. Wilde Annahmen über Fischart, Größe und Geschlecht werden gerufen. Yellowfinn? Marlin? Mahi? Ich kurble an der Rute, bis der Fang in Reichweite ist und sich allesamt einig sind. Es ist ein knallgelber Mahi Mahi mit einem leuchtend blauen Streifen unter seiner Rückenflosse!

Zu zweit hieven wir ihn an Bord. Mit zitternder Stimme ruft Tom: ‚Oohh, das issn schöner’, um ihm anschließend gezielt das Messer in den Schädel zu rammen. Das kräftige Tier muss mit vier Händen festgehalten werden. Er ist den täglichen Gefahren des Meeres ausgesetzt und weiß sich zu wehren. Trotz Messer im Schädel sind die Nerven der Fische nach deren Hirntod noch aktiv. Kräftiges Zucken durchschüttelt den Fisch von Kopf bis Schwanz. Der gerade noch strahlende Mahi Mahi verliert innerhalb von Sekunden an Farbe. Mit geschickten Handgriffen wird dem Tier das Fleisch vom Skelett geschnitten. Das hintere Deck ist voller Blut.

Zu viert arbeiten wir an unserem Essen für die nächsten Tage.
Wir begreifen während der Arbeit, was es heißt, einem Tier das Leben zu nehmen. Es ist brutal. Es ist körperliche Arbeit. Und so seltsam es klingen mag: Es ist eine barbarische Art von purer Vorfreude!  Er wird mit Bedacht für die nächsten Tage eingeteilt. Es steckt nicht nur Arbeit, sondern auch Emotion darin.

 

 

Das Tier hatte ein Gesicht. Es hatte ein Leben in wilden Gewässern. Es ist kein ausgestanztes Viereck aus Lidls Tiefkühler um die Ecke. Es ist ein echtes Lebewesen, dem wir das Leben genommen haben und das am Abend dankbar auf unseren Tellern landet. Mit Weißwein.

Auch der Streit ist vergessen. Zufrieden gesättigt bereiten wir uns auf die nächste schlaflose Nacht vor und fallen erschöpft in die Kojen.
Es fühlt sich an wie wenige Minuten Schlaf, doch der nächste Morgen erwartet uns bereits. Vielleicht liegt es an den wachen Nächten oder den fehlenden Fixpunkten am Horizont, doch die Zeit rennt. Obwohl sie noch nie so pur schmeckte, sind wir dem Ende unseres wässrigen Abenteuers nahe und werden schon morgen unser Ziel erreichen: Die Dominikanische Republik! Zwar ist noch kein Land am Horizont zu sehen, doch  die gigantischen Raubvögel am Himmel prophezeien, dass wir uns in der Nähe festen Bodens befinden. Sie kreisen um unser Boot, um mit wenigen Flügelschlägen außer Sicht zu segeln. Der letzte Abend! Ich werde das Leben auf der See vermissen.

Panik vor sozialen Überflutungen an Land habe ich schon jetzt. Meine Gedanken waren lange nicht so klar wie auf der See. Die Ruhe der Nachtschichten hat meinen Blick ins Innere geschärft. Mein Kompass der Bedürfnisse ist klar ausgerichtet. Ich habe Angst, vom kreischenden Alltag abgelenkt zu werden, den Fokus auf mein Ziel verschwimmen zu sehen. Doch es ist keine Angst, die erstarren lässt. Es entsteht vielmehr eine Kraft, den Fokus bewahren zu wollen. Es wächst Vertrauen, Zuversicht und Willenskraft. Wir sind euphorisch und stolz. Der letzte Abend soll ein besonderer werden. Umso schöner, dass ein Yellowfinn Tuna angebissen hat. Es ist das erste Mal, dass unser Skipper kocht. Während Tom in der Küche schnibbelt, knackt der Rest der Crew die Bierreserven aus sämtlichen Geheimverstecken. Wir fläzen uns vorne zwischen den Kurven ins Trampolin. Aus den Boxen klimpert sanfte Loungemusik, während wir in den Sonnenuntergang segeln. Orangene Wolken ziehen gen Horizont.

Der Mond ist steht bereits leuchtend über uns. Es ist der perfekte Abend zum Abschied nehmen. Mit dem schillernden Höhepunkt vom frischestem Sushi meines Lebens und einem tiefen Schlaf dank heftigem Schwips.
Und dann, die Augen noch halb im Schlaf: Land in Sicht!


Der Mahi Mahi wird zerlegt und vorbereitet


Alix Zander von Humboldt, September 2022 – Dominikanische Republik


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